«Zombizellen» töten, um jung zu bleiben

Prof. Jacques Proust

Zentrum für Präventivmedizin, Nescens, Genolier

Juni 3, 2021

Die Zellen unseres Körpers erneuern sich durch Zellteilung; aus jeder Mutterzelle entwickeln sich zwei Tochterzellen. Dieser Teilung geht eine Verdoppelung des Zellinhalts voraus: So werden möglicherweise geschädigte Zellbestandteile durch neu synthetisierte aufgelöst, was einen effizienten Regenerationsmechanismus darstellt.

Das Phänomen der Zellteilung geht jedoch nicht unbegrenzt weiter, und menschliche Zellen in Kultur können sich nur eine bestimmte Anzahl von Malen replizieren, was als «replikative Seneszenz» bezeichnet wird.

Interessanterweise nimmt die maximale Anzahl der Teilungen, die eine Zelle durchführen kann, mit zunehmendem Alter des Spenders ab. Es gibt jedoch eine beträchtliche Schwankungsbreite zwischen Individuen, und die Theorie, dass die Anzahl der Zellteilungen in vitro das physiologische Alter des Spenders und/oder seine Lebenserwartung widerspiegeln könnte, ist eindeutig falsch.

Wenn eine junge Zelle geschädigt oder in ihrer Funktion beeinträchtigt ist, hört sie auf, sich zu teilen, aktiviert ein Selbstmordprogramm namens Apoptose und verschwindet ohne Aufsehen aus dem Körper, ohne eine Entzündungsreaktion auszulösen. Es handelt sich dabei um einen Schutzmechanismus, um die Weitergabe von Defekten an die Tochterzelle zu verhindern.

Ganz anders sieht die Sache bei den mit der Alterung in Erscheinung tretenden seneszenten Zellen aus. Obwohl sie dysfunktional sind, sind diese Zellen resistent gegen Apoptose, sterben nicht ab – daher der Begriff Zombiezelle – und sammeln sich allmählich in den verschiedenen Geweben unseres Körpers an. Bei einer jungen Labormaus findet man weniger als 1 % seneszente Zellen, während der Organismus einer zweijährigen Maus bereits mehr als 20 % aufweist.

Eine große Anzahl dieser seneszenten Zellen bildet einen sogenannten „sekretorischen Phänotyp“, gekennzeichnet durch die Produktion verschiedener Moleküle (Entzündungsmediatoren, kollagenzerstörende Enzyme, oxidierende freie Radikale…), die direkt am Alterungsprozess selbst beteiligt sind und/oder an der Verschlimmerung der mit fortgeschrittenem Alter verknüpften Pathologien. Darüber hinaus kontaminieren diese Zellen benachbarte Zellen und induzieren in ihnen den seneszenten Phänotyp.

Seneszente Zellen sind in der Lage, zu allgemeinen, aber auch lokalen Krankheiten und Beeinträchtigungen beizutragen. Experimentell führt die Transplantation einer kleinen Anzahl dieser seneszenten Zellen in das ein Gelenk umhüllende Gewebe schnell zu entzündlichen Erscheinungen an diesem Gelenk, die jenen ähneln, die bei nicht infektiöser Osteoarthritis beobachtet werden.

Im weiteren Sinne trägt die Aktivierung von Transkriptionsfaktoren und Genen, die an Entzündungsmechanismen beteiligt sind, durch die «Sekret bildenden» seneszenten Zellen zur chronischen Entzündung im Alter bei, ein Phänomen, das als „Inflammaging“ bezeichnet wird. Die Produktion von freien Sauerstoffradikalen oxidiert die verschiedenen Bestandteile der benachbarten Zellen und stört deren Funktion schwerwiegend. Die Freisetzung proteolytischer Enzyme (Metalloproteasen) trägt zum Gewebeabbau und zur Hautalterung bei.

Neuere Studien zeigen, dass der sekretorische Phänotyp der seneszenten Zellen eine wichtige Rolle bei der Entstehung verschiedener altersbedingter Erkrankungen spielt, wie etwa Krebs, Diabetes, Atherosklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Emphysem, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Lungenfibrose, Arthrose, Osteoporose, Bandscheibendegeneration, neurodegenerative Erkrankungen, Makula-Degeneration usw.

Bei Mäusen haben zahlreiche Studien bestätigt, dass es selbst mit einer nur partiellen Beseitigung der seneszenten Zellen möglich ist, bestimmten altersbedingten physiopathologischen Erscheinungen vorzubeugen und diese sogar zu behandeln. Die behandelten Tiere wirken verjüngt, sind körperlich aktiver und haben ein dichteres Fell. Man stellt eine Verbesserung der Nierenfunktion sowie der Herz- und Atemkapazität und eine Knorpelreparatur fest. Infolgedessen erhöht sich auch die durchschnittliche Lebensdauer dieser Tiere um 25 %.

Beim Menschen wird in naher Zukunft die Eliminierung alternder Zellen einen wichtigen Platz unter den verschiedenen biomedizinischen Verfahren einnehmen, die darauf abzielen, das Altern zu verlangsamen oder seine Folgen zu begrenzen. Eine der therapeutischen Strategien zur Eliminierung dieser Zellen besteht darin, sie wieder empfindlich für die Apoptose zu machen. Man kann auch das Immunsystem so aktivieren, dass dessen Effektorzellen spezifisch die seneszenten Zellen zerstören. Neue Klassen sogenannter „senolytischer“ Medikamente werden bald in das Anti-Aging-Arzneibuch eingehen.

Seneszente Zellen sind jedoch von Gewebe zu Gewebe unterschiedlich und haben vielfältige Strategien entwickelt, um dem Tod zu entgehen. Man wird daher senolytische Arzneimittel entwickeln müssen, die diesen Mechanismen gezielt entgegenwirken können. Bislang sind 14 senolytische Moleküle identifiziert worden. 

Andererseits tauchen seneszente Zellen kontinuierlich von Neuem auf und müssen regelmäßig, vermutlich einmal im Jahr, eliminiert werden, weshalb im Vorfeld sichergestellt werden muss, dass diese Medikamente keine langfristigen schädlichen Nebenwirkungen haben. Klinische Studien zur Prüfung der Wirksamkeit bestimmter Senolytika bei verschiedenen, klassisch als altersbedingt geltenden Erkrankungen sind derzeit im Gange.

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