Insektengift

Dr. Michaël Hofer

Immunologie & Allergologie, Pädiatrie, CHUV, Lausanne

Juni 28, 2022

Insektengifte sind Gifte, mit denen sich Insekten verteidigen. Wenn sie sich bedroht fühlen, stechen oder beißen sie jede Person, die in der Nähe steht, was eine mögliche allergische Reaktion auslösen kann. Einige der bekannten Insekten mit giftigen Bisse oder Stichen sind Wespen, Hornissen, Feuerameisen und Bienen. Die meisten Bisse oder Stiche verursachen normalerweise kleinere Unannehmlichkeiten, können jedoch für einige potenziell lebensbedrohlich sein. Kleinere Reaktionen verursachen Hautrötung, Schwellung, Juckreiz, Taubheit oder Kribbeln. Andererseits können schwere Reaktionen, die eine sofortige medizinische Behandlung erfordern, Fieber, Atembeschwerden, Muskelkrämpfe, Übelkeit, Schwellungen, Verwirrung oder sogar Bewusstlosigkeit umfassen.

Möchten Sie mehr wissen? Lesen Sie unten den Artikel von Dr. Michaël Hofer.

DIE INSEKTENGIFTALLERGIE: WORUM HANDELT ES SICH?

In der warmen Jahreszeit sind Insektenstiche häufig und bereiten gewöhnlich nur geringfügige Unannehmlichkeiten. Zahlreiche Insektenarten können allergische Reaktionen verursachen: Mücken, Bremsen, Ameisen, Wespen, Bienen… Abgesehen von den zwei letztgenannten Insekten, die zu den Hautflüglern (Hymenoptera) gehören und über die wir in diesem Kapitel ausführlich reden werden, lösen Insekten meist nur lokale allergische Reaktionen aus.

Schwere Reaktionen erfolgen meistens nach Stichen von Insekten der Ordnung der Hautflügler, zu der die Wespen, die Bienen, die Hornissen und die Hummeln gehören. Hautflügler injizieren Gift, das Proteine enthält, auf die man sensibilisiert werden kann und die bei einer allergischen Reaktion vom Immunsystem erkannt werden. Da mehrere dieser Gifte Kreuzreaktionen auslösen, werden diagnostische Tests und spezifische Behandlungen nur für Bienen- und Wespengifte durchgeführt. Eine genetische Veranlagung zu Allergien oder Atopien ist nicht notwendig, um eine Allergie gegen Hautflüglergift zu entwickeln. So kann es bei jeder Person eines Tages zu einer allergischen Reaktion aufgrund eines Hautflüglerstiches kommen. Im Falle einer generalisierten Reaktion ist eine ärztliche Behandlung angezeigt. Diese umfasst neben den notwendigen Untersuchungen auch das Erteilen von Ratschlägen zur Prävention, die Ausgabe eines Notfall-Sets und je nach Schwere der Reaktion auch eine Desensibilisierung.

DIE INSEKTENGIFTALLERGIE: WAS GESCHIEHT?

Nach einem Stich kann das Insektengift toxische Reaktionen an der Einstichstelle oder, wenn genügend Gift in den Blutkreislauf gelangt, auch eine systemische Reaktion auslösen. Diese toxischen Reaktionen hängen von der Menge des injizierten Giftes ab. Bei Allergien ist die Intensität der Reaktion nicht proportional zur Giftmenge und hängt von der Reaktivität des Immunsystems ab. Eine allergische Reaktion kann lokal um die Einstichstelle herum oder generalisiert ausserhalb des Stichbereichs auftreten. Sie kann sich sogar im ganzen Organismus ausdehnen (anaphylaktische Reaktion). Je nach Schweregrad unterscheidet man dann verschiedene Stadien einer generalisierten allergischen Reaktion oder Anaphylaxie (s. Kapitel III. 10. akute Allergien).

In der Regel taucht die generalisierte Reaktion einige Minuten nach dem Insektenstich auf oder dann innerhalb der Stunde, die dem Insektenstich folgt. Die Reaktion kann auf der Haut in Form von Urtikaria (Nesselsucht) oder Angioödem (Schwellung, insbesondere des Gesichts) erfolgen, bei den Atemwegen mit Asthma oder einer Kehlkopfverengung, beim Verdauungssystem mit Erbrechen oder Durchfällen. Die generalisierte Reaktion kann auch zu einem Schockzustand mit Blutdruckabfall, Ohnmacht und Zyanose führen oder starke Angstgefühle auslösen.

Die schweren Reaktionen sind meistens auf das Gift von Hautflüglern (Wespen, Bienen, Hornissen) zurückzuführen und sind nach einem Bienenstich häufig schwerer als nach einem Wespenstich.

WIE FINDE ICH HERAUS, OB ICH AN EINER INSEKTENGIFTALLERGIE LEIDE?

Die Diagnose einer Allergie auf Hautflüglergift kann dank spezialisierten Untersuchungen gestellt werden. Anamnestische Informationen sind jedoch wichtig: Schwere der allergischen Reaktion und Art des Insekts. Diese Kenntnisse erleichtern die Interpretation der durchgeführten Untersuchungen und die Bestimmung der Behandlung. Da die Konsultation beim Spezialisten oft erst mehrere Wochen nach der Reaktion erfolgt, ist es nützlich, die während der Reaktion beobachteten Symptome und die Art des Insektes, falls man dieses identifizieren kann, rasch zu notieren. Kann bei einem auf Bienen- und Wespengift sensibilisierten Patienten das für die Reaktion verantwortliche Insekt nicht identifiziert werden, so muss nicht selten eine Desensibilisierung gegen beide Gifttypen durchgeführt werden. Dies bedeutet: doppelte Anzahl Injektionen.

Auf der Suche nach einer Sensibilisierung auf Hautflüglergifte werden die spezifischen Allergieantikörper (IgE) im Blut gemessen und es werden intradermale Hauttests mit Bienen- und Wespengift durchgeführt. Diese Untersuchungen können in jedem Alter durchgeführt werden, insbesondere bei Kindern, und fallen in den Kompetenzbereich des Spezialisten. Die Indikation der Desensibilisierung wird aufgrund der Reaktionsschwere und der Resultate der Diagnosetests gestellt.

WIE WIRD EINE INSEKTENGIFTALLERGIE BEHANDELT?

Bei Insektengiftallergien tritt die Allergie nur nach einem Stich des allergieauslösenden Insektes auf. Es ist deshalb unerlässlich, alle geeigneten Vorsorgemassnahmen zu treffen (s. unten).

Es ist unmöglich, vor allem für Kinder, sich vor Insektenstichen absolut zu schützen. Deshalb sollte ein Insektengift-Allergiker sein Notfall-Set, das ein Antihistaminikum, eine aufgezogenen Adrenalinspritze und Kortisontabletten enthält, immer in Reichweite haben. Nach einem Stich sollte der Stachel, sofern es sich um einen Bienenstich handelt, sofort entfernt und jemand darüber informiert werden, dass man von einem Insekt gestochen wurde, auf das man allergisch ist. Nach dem Insektenstich, spätestens aber bei Beginn der allergischen Reaktion das Antihistaminikum in der vorgeschriebenen Dosierung nehmen und die Adrenalinspritze (Epipen®) bereithalten. Im Falle einer generalisierten allergischen Reaktion die Adrenalinspritze gemäss Anweisung benutzen (die Spritze in den Oberschenkel verabreichen). Nicht damit zögern, die Adrenalinspritze zu benutzen, denn für eine sonst gesunde Person besteht dabei keine Gefahr. Hält sich der Allergiker an einem abgelegenen Ort auf, sollte vorsorglich das Kortison gemäss Anweisung des Arztes eingenommen werden. Hat ein Insektenstich eine allergische Reaktion ausgelöst, muss immer sofort ein Arzt aufgesucht werden, auch wenn sich die Situation nach der Notfallbehandlung verbessert hat. Adrenalin hat nämlich eine zeitlich beschränkte Wirkung; deshalb kann die Reaktion also wieder zunehmen und das Leben des Patienten gefährden. Im Fall des Eingreifens eines Dritten ist auf die Lagerung des Patienten zu achten, insbesondere während des Transports; der Kopf des Betroffenen muss tiefer liegen als die unteren Gliedmassen (Transport im Treppenhaus!), vor allem, wenn der Blutdruck niedrig ist.

Die Desensibilisierung gegen Hautflüglergifte ist wirksam, weil sie das Risiko einer schweren Reaktion bei einem erneuten Stich durch das allergieauslösende Insekt stark vermindert. Mehrere kontrollierte Studien haben eine Wirksamkeit von 78 bis 100 % bei einem erneuten Stich aufgezeigt (nur lokale Reaktion); im Fall von Wespengift ist dieser Schutz noch besser. Die Behandlung besteht aus subkutanen Injektionen des Gifts in immer stärkerer Dosierung bis zum Erreichen der Erhaltungsdosis (100 µg). Diese Erhaltungsdosis wird dann während 3 bis 5 Jahren jeden Monat verabreicht. Die Behandlung mit der zunehmenden Dosierung muss von einem Allergologen durchgeführt werden, die Behandlung während der Erhaltungsphase kann beim Hausarzt erfolgen. Kinder ab 5 Jahren können ebenfalls von dieser Behandlung profitieren. Diese ermöglicht es ihnen, wieder normal an Aktivitäten im Freien teilzunehmen (Exkursionen, Schulreisen…).

Die Desensibilisierung gegen Wespen- oder Bienengifte dauert lange und ist nicht ohne Risiko. Sie bleibt Patienten mit hohem Risiko für schwere Reaktionen bei einer erneuten Exposition mit dem Insektengift vorbehalten. Anhand von Analysen der natürlichen Evolution der Hautflüglergift-Allergien konnte gezeigt werden, dass Patienten, die eine schwere Reaktion gezeigt haben, bei einem erneuten Stich das grösste Risiko haben, wieder mit einer schweren Reaktion zu reagieren und damit potentiell ihr Leben riskieren. Diese Patienten müssen von einer Desensibilisierung profitieren können. Es sei daran erinnert, dass lokale allergische Reaktionen nach Insektenstichen in der Bevölkerung häufig, schwere Reaktionen jedoch sehr viel seltener sind. Für Patienten, die nach einem Insektenstich eine ausgedehnte lokale Reaktion zeigen, besteht folglich nur ein geringes Risiko, anlässlich eines erneuten Stichs eine schwere allergische Reaktion zu entwickeln und sie benötigen auf keinen Fall eine Desensibilisierung.

Zusammengefasst kann man sagen, dass allergische Reaktionen auf Insektenstiche häufig, jedoch meist banal sind. Bei generalisierten Reaktionen ist die Konsultation eines Spezialisten angezeigt, damit die notwendigen Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt werden und der Patient über die Massnahmen informiert wird, die er im Falle eines erneuten Stichs zu ergreifen hat.

VORSORGEMASSNAHMEN:

  • Vermeiden heftiger Bewegungen. Insekten stechen nur, wenn sie Angst haben.
  • Nicht barfuss gehen (Schwimmbad!). Im Gras könnten Wespen und Bienen versteckt sein.
  • Schweiss zieht Insekten an. Achtung bei Anstrengungen im Freien.
  • Parfums und duftende Kosmetika vermeiden.
  • Haut bei Ausflügen mit hoher Geschwindigkeit gut abdecken (Motorrad, Cabriolet).
  • Weite Kleider vermeiden. Insekten könnten unbemerkt hinein schlüpfen.
  • Lebensmittel oder Abfälle im Freien nicht offen herumliegen lassen. Nur geschlossene Abfalleimer benutzen.
  • Nicht aus einem geschlossenen Behälter trinken. Ein Insekt könnte in den Behälter eingedrungen sein.
  • Sich nicht selber um Bienen- oder Wespennester kümmern, sondern einen Spezialisten rufen.
  • Verwendung einer Giftpumpe im Fall von Bissen oder Stichen.

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